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European and German records with anemoi

Europäische und deutsche Rekorde mit anemoi

Apr 12, 2024

Stefan Jahnke

1459 km Strecke in 12h 27 min Flugzeit mit einem Schnitt von 121 km/h.

Nicht genug Superlative für Benjamin Bachmaier - er hatte 1250 km über drei Wegpunkte deklariert, um mit diesem Flug voraussichtlich zwei europäische Segelflugrekorde zu brechen. Beim DAeC sind die entsprechenden beiden deutschen Rekorde sowie das 1250 km Diplom bereits offiziell anerkannt. Wir sind gespannt auf die Gedanken des anemoi-Entwicklers zu diesem herausragenden Flug.

https://www.weglide.org/flight/370595

Herzlichen Glückwunsch zu deinem hervorragenden Flug, Benni. Was für eine tolle Leistung!

Du hast deinen Flug mit "Tränen in den Augen wegen des Saharasandes in der Luft" kommentiert. Wären Freudentränen nach einem perfekten Wellenflugtag nicht treffender?

Das unglaublichste am Segelfliegen ist, dass es einen mit dem gesamten Spektrum menschlicher Emotionen konfrontieren kann. In meiner Karriere gab es eine Handvoll Situationen, in denen im Cockpit aus Freude oder Erleichterung ein paar Tränen geflossen sind. Interessanterweise hatte das meistens etwas mit Wellenfliegen zu tun. Und ja klar, der Endanflug dieses letzten Rekordfluges war einer dieser Momente.

Solche Langstreckenflüge in den Alpen sind nur mit Hilfe von Wellen- und Windsystemen möglich. Wie hast du die Schwierigkeiten gemeistert, die mit den hohen Windgeschwindigkeiten in den Bergen einhergehen?

Viele Leute scheinen meine Fähigkeiten im Cockpit deutlich zu überschätzen. Tatsächlich würde mich niemand als besonders begabt bezeichnen, wenn sie wüssten wie viele Stunden Bodenarbeit nötig sind, damit ich solche großen Flüge sicher bewältigen kann. Ich schaue fast jeden Tag Geländekarten, Wetterdaten und Flugaufzeichnungen an, um besser zu verstehen welche Strategien in welcher Situation und unter welchen Bedingungen zusammen passen. Auch das Fliegen bei jeder möglichen Wetterlage - nicht nur an guten Tagen - hilft mir sehr. Insgesamt war dies mein 39. Flug unter Föhnbedingungen, was ziemlich viel ist wenn man bedenkt dass es nur 1-4 nutzbare Tage pro Jahr gibt.

Ich versuche, in Theorie und Praxis genau zu verstehen, wie die Luft mit dem Gelände interagiert und was das bedeutet, wenn man so effektiv wie möglich fliegen will. Die Bücher von Martin Dinges, G. Dale und Jean Marie Clement haben mir dabei besonders geholfen, ebenso wie viele lange Gespräche mit Ikonen wie Klaus Ohlmann. Ich habe sogar mein eigenes Instrument zur Live-Windberechnung entwickelt, weil ich mit den auf dem Markt erhältlichen Instrumenten nicht zufrieden war. Das anemoi zeigt mir nun schon seit einigen Jahren, was der Wind in den Bergen wirklich macht, und seitdem sehe ich die Welt mit anderen Augen.

Welche Aspekte berücksichtigst du, wenn du dich zwischen Welle und Hang entscheiden musst?

Die Wahl des besten Aufwindsystems zur richtigen Zeit war der Schlüssel zum effizienten Fliegen für den jüngsten Rekord. Oftmals ist die Welle effizienter als der Hang. Außerdem ist das Risiko einer Außenlandung beim Flug in der Welle im Vergleich zum Hang deutlich reduziert. Ich versuche immer dann Anschluss an die Wellen zu kriegen, wenn ich vermute dass diese Vorteile den Zeitaufwand für den anfänglichen Einstieg in das Wellensystem rechtfertigen. Aber gerade an diesem Tag konnte ich die Welle dann in drei verschiedenen Situationen nicht halten.

In diesem Fall sind die Hänge auf der Nordseite der Alpentäler eine gute Ausweichmöglichkeit, auch wenn die Turbulenzen, das schmale Höhenband und das ständige Außenlanderisiko oft schnell dazu führen, dass man es bereut, an den Hang gegangen zu sein. Es gibt Tage, an denen der Wind in den Tälern zu schwach ist, dass die Hänge vernünftig gehen, und bei stabiler Luftschichtung wird der Wind eher horizontal um die Berge herum statt über sie drüber strömen. Andererseits können die Hänge, insbesondere wenn die Luft zusätzlich zum Wind thermisch aktiv ist, zumindest vorübergehend und lokal die stärkere und zuverlässigere Option im Vergleich zu einer unsicheren Wellenlinie sein. Es ist immer eine schwierige Abwägung, und wenn man sich irrt, kann das leicht den Flug beenden oder wertvolle Zeit kosten. Ich bin froh, dass ich dieses Mal anscheinend weitgehend richtig gelegen habe.

Du hast die Beta-Version der neuen anemoi-Firmware getestet. Kannst du uns einen Vorgeschmack darauf geben, worauf wir uns freuen können?

Das Update 3.0 für die anemoi-Sensoreinheit und das Display bringt einige schöne Verbesserungen. Die wichtigste Änderung ist, dass nicht nur der Live-Windvektor, sondern auch dessen Zuverlässigkeit angezeigt wird. Einigen Piloten ist in der Vergangenheit aufgefallen, dass nach einem sehr langen, schnurgeraden, unbeschleunigten Gleitflug der Live-Wind manchmal nicht mehr so aktuell sein konnte, und dass es in solchen Situationen schwer zu sagen war, ob man den Daten noch voll vertrauen konnte oder nicht. Der Grund dafür war, dass die IMU nicht mehr vollständig ausgerichtet und kalibriert werden kann, wenn sich die Bewegung über mehrere Minuten hinweg nicht ändert. Um den Piloten in solchen Grenzfällen zu helfen, wird der Live-Wind-Pfeil auf dem Display nun verblasst dargestellt, wenn die Unsicherheit zunimmt, und wieder stärker eingeblendet, wenn die Daten wieder zuverlässiger werden. Wenn der Pfeil ausgeblendet wird, genügt ein kurzes Wackeln mit den Flügeln (z.B. 15 Grad links-rechts-links) oder ein bisschen Beschleunigen und Abbremsen, um ihn wieder zum Leben zu erwecken, und schon ist der Live-Wind wieder ganz aktuell. Dieser Trick hat schon in der Vergangenheit gut funktioniert, aber mit dem neuen Update können die Piloten genau wissen, wann er nötig ist und wann nicht.

Auch beim Erweiterten Kalman-Filter, dem mathematischen Herzstück des Algorithmus, hat sich viel getan. In den letzten Jahren habe ich durch das Aufzeichnen und Analysieren von Flugdaten eine Menge Details gelernt, und viele mathematische Gewichtungen, Zeitkonstanten und Modelle wurden verbessert, um das Bewegungsprofil eines Segelflugzeugs noch optimaler abzubilden.

Für alle, die an der Aufzeichnung der Lage-, Wind- und Bewegungsdaten der Sensoreinheit interessiert sind, haben wir dem Ausgangsdatenstrom einen Zeitstempel hinzugefügt, um eine bessere Synchronisierung mit IGC-Dateien zu ermöglichen. Das wird viele Hobby-Entwickler glücklich machen, denke ich.

Und schließlich eine Erleichterung in der Werkstatt: Man kann die Sensoreinheit nun auch kopfüber liegend montieren. Insgesamt sind daher nun 8 statt der ursprünglichen 4 Montageausrichtungen im Menü wählbar.

Wie nutzt du das anemoi, um Hangaufwinde und Thermik zu finden?

Wie ich bereits oben erwähnt habe, kann Hangaufwind sehr unzuverlässig sein, weil die Windgeschwindigkeiten unter Grat plötzlich niedrig sind oder weil stabile Luftmassen lieber seitlich um das Gelände herum als darüber hinweg strömen. In beiden Fällen kann man eine böse Überraschung erleben, wenn man sich an einem nicht funktionierenden Hang wiederfindet, auf den man das Schicksal seines Fluges gesetzt hat. Mit der Live-Windanzeige ist es einfach, solche Strömungssituationen zu erkennen, bevor es zu spät ist, zum Beispiel wenn man an der Ostflanke eines Berges immer Westwind und an der Westflanke Ostwind feststellt. In diesem Fall sollte man sich die Zeit nehmen, in der Mitte des Bergrückens die maximale Höhe zu machen, denn wenn überhaupt, dann geht es nur dort am Staupunkt.

Auch ist es sehr wichtig, dass man hangparallele Windkomponenten früh genug erkennt, denn dies kann zu extremen Turbulenzen im Bereich von Quergraten führen und große, vorsichtige Umwege erfordern.

Im Allgemeinen verrät einem der Windpfeil viel über die Optionen, die man noch hat wenn man tief kommt. Selbst in unbekanntem Gelände kann es oft die beste Option sein, einfach mit Live-Rückenwind an den nächsten Hang zu fliegen, was eine völlig andere Richtung sein kann als der Wind in der Höhe. Jedes Mal, wenn solche Informationen mir helfen, eine schwierige Situation zu lösen, ist das ein echter Augenöffner.

Wenn es um Thermik auch im Flachland geht, ist die schnelle Windanzeige erstaunlich hilfreich, um Inflow-Effekte zu erkennen: Je tiefer man kommt, desto mehr zeigt der Live-Wind in Richtung des Zentrums der thermisch aktiven Zonen und lokal in Richtung des stärksten Bartes. Ich kann gar nicht zählen, wie viele Außenlandungen diese Strategie schon verhindert hat, insbesondere für mich, der notorisch schlecht darin ist, Thermik außerhalb vom Gebirge zu finden.

Wie suchst du nach Welleneinstiegspunkten, und wie hilft dir das anemoi dabei, diese zu finden?

In niedrigeren Höhen gibt es eigentlich keinen großen Unterschied zwischen dem Strömungsfeld um einen Thermikbart oder um das, was viele Leute als "Rotor" bezeichnen, also die turbulente Aufwindstruktur unterhalb eines Wellensystems. Abgesehen von der ganzen Turbulenz natürlich. Sowohl bei der Thermik als auch beim Rotor zeigt der Wind in geringer Höhe deutlich in Richtung des niedrigsten Drucks, also des stärksten Aufwindes. Da passiert oft etwas sehr Interessantes, das man gut beobachten kann: Innerhalb des stärksten Aufwindkerns ist die lokale Windgeschwindigkeit meistens minimal. Sobald man an einem Ort mit 5 km/h Wind an einem 20-km/h-Tag oder an einem Ort mit 30 km/h Wind an einem 100-km/h-Sturmtag einen Aufwind gefunden hat, weiß man, dass man nicht mehr weiter suchen muss. Ein extremes Beispiel dafür war mein Welleneinstieg am Arlbergpass gegen Ende des zweiten Schenkels: Der Wind am Hang war mit 50-80 km/h extrem stark und turbulent. Plötzlich nahm der Wind innerhalb von zwei oder drei Sekunden auf 15 km/h ab und blieb dann zehn oder zwanzig Sekunden lang so. Ich tastete mich ins Tal raus und begann, normale Kreise zu fliegen, wie in der Thermik. Anemoi zeigte mir, dass ich sicher kreisen konnte, ohne gegen das Gelände zurückgeblasen zu werden. In der Mitte des Tals erreichte das integrierte Steigen mehr als 10 m/s, und nach drei Kreisen war ich 1000 m höher und konnte an die Vorderseite der Wolke gehen, um in den laminaren Aufwind der darüber liegenden Welle zu gelangen. Es war der mit Abstand stärkste Aufwind meines Lebens, und ohne Anemoi wäre ich einfach seitlich daran vorbei geflogen.

Wie und warum hast du deine Wendepunkte für die Deklaration ausgewählt?

Die FAI-Regeln erlauben drei deklarierte Wendepunkte für Rekord- und Diplomflüge. Das Föhnwindsystem war diesmal breit genug, um mir eine Chance auf 1250 Kilometer zu ermöglichen, aber es war eine schwierige Entscheidung: Sollte ich zwei Wendepunkte im Westen und einen im Osten setzen, oder umgekehrt? Die Deklaration musste genau passen, denn wenn man so lange Strecken fliegen will, muss man den ganzen Tag permanent zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Ich hatte am Abend vor dem Flug beide Aufgabenvarianten vorbereitet und traf die endgültige Entscheidung um 5 Uhr morgens, eine Stunde vor dem Start, auf Grundlage der nächtlichen Webcam-Bilder, der ICON-D2-Wellenvorhersage und der Messungen der Windstationen. Am Ende entschied ich mich knapp für die ostwärts gerichtete Aufgabe, und wenn ich mir die anderen Flüge des Tages ansehe, scheint es, als wäre die andere Option aufgrund des unkonstanten Windes und der schwierigen Wolkenbedingungen im äußersten Westen der Alpen nicht gut möglich gewesen.

Hat sich das Jo-Jo im Pinzgau am späten Nachmittag schon wie Heimkommen angefühlt, und hast du dort schon angefangen zu feiern?

Als ich drei Stunden vor Sonnenuntergang den letzten deklarierten Wendepunkt 250 km östlich des Ziels erreichte, wusste ich, dass ich definitiv eine Chance hatte. Ich musste es nur noch sicher nach Hause bringen. Mein Plan A war, bis zum Ende des Fluges in der primären Welle des Alpenhauptkammes zu bleiben, bis zum Gerlospass, um so schnell wie möglich Endanflug aufzubauen. Plan B war, nach Norden in die Hänge zurückzufallen, was vielleicht auch funktioniert hätte, aber meine gesamte Zeitreserve aufgefressen hätte. Ich war also sehr vorsichtig und schlich mich entlang der Primärwelle, die am Abend eine starke Gegenwindkomponente von etwa 225 Grad hatte. Anfänglich erreichte ich trotz FL160 nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 90 km/h über Grund, aber die Geduld zahlte sich aus, als die punktuelle Wellenlinie nach Westen hin immer zusammenhängender wurde. Ich erreichte den Gerlospass mehr als eine Stunde vor Sonnenuntergang, wo ich meinen Vereinskameraden Felix traf, und gemeinsam verbrachten wir die finale Stunde damit, die beste Wellenlinie des Tages nochmal bis zurück zum Großglockner zu fliegen, bevor wir uns schließlich auf den Heimweg machten. Diese letzte Stunde, mit zwei 15m Fliegern in perfekt laminarem Wellenaufwind, bei maximaler Manövergeschwindigkeit in dramatischen Abendlichtbedingungen mit all dem Saharastaub in der Luft, werde ich nie vergessen.

Jeder, der dich kennt, weiß, dass du hunderte von Stunden mit der Vorbereitung, Analyse und Nachbereitung von Flügen verbringst. Hängst du nach einem solchen Highlight deinen Fliegerhut an den Nagel, oder wartet schon die nächste Herausforderung auf die richtige Wetterlage?

Ich gebe zu, dass das 1250 km-Diplom, erst das zehnte in Europa und das erste hier mit einem 15m-Flugzeug erflogene, zu meinen höchsten Zielen gehört hat. Aber ich habe so viele weitere Ideen, was man in der Welle und in der Thermik machen kann. Da gibt es noch Geschwindigkeitsrekorde, lange Zielrückflüge, usw... Auch das Coachen und Ausbilden ist für mich im Laufe der Jahre immer wichtiger geworden. Es kommt immer häufiger vor, dass einer meiner Trainees an seinem guten Tag besser fliegt als ich an meinem schlechten Tag. Irgendwann wird die nächste Generation das Steuer übernehmen, und ich bin dann auch gerne bereit, meinen Rekord wieder abzugeben.

Viel Glück bei deinen nächsten Flugabenteuern, Benni, und vielen Dank für deine Einblicke.

Danke, dass ich sie mit euch teilen durfte!